Eines gleich vorweg: Eine klare und eindeutige Empfehlung! Wolfgang Vogl hat auf über 300 Seiten ein wirklich beeindruckendes Buch zur Kirchengeschichte Oberdollings vorgelegt. Es ist eine umfassende Darstellung und ein sorgfältig recherchiertes Werk, das jedem (kunst-) geschichtlich Interessierten eine Unmenge an Informationen und Wissenswertem zu bieten vermag.
„Oberdolling. Geschichte und Kunst“ aus dem LIT-Verlag ist klar gegliedert und äußerst übersichtlich aufgebaut: In drei Großkapiteln werden die Ortsgeschichte, die Pfarrei- und schließlich die Kunstgeschichte der Kirche abgehandelt. Dass in einer oberbayerischen Gemeinde dieser Größe alle drei Aspekte auf`s Engste miteinander verknüpft sind und die Themen ineinandergreifen, liegt dabei auf der Hand. So befindet sich beispielsweise ein römischer Grabstein aus den Jahren 180-210 n.Chr. im Turm der Kirche – ein Grabstein, der in der ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert stammenden Pfarrkirche als Fundament diente und im Neubau der Kirche 1895 im Turm vermauert worden ist.
Die große Geschichte spiegelt sich immer wieder auch in der Geschichte des kleinen Dorfes, das rund 20 km nordöstlich von Ingolstadt liegt. Und dies herauszuarbeiten, gelingt Wolfgang Vogl mit leichter Hand und fast beiläufig: Der Oberdollinger Römer-Grabstein wird beispielsweise in den zeitgeschichtlichen Kontext des spätrömischen Reiches genauso eingebunden wie er auch kunstgeschichtlich souverän analysiert wird. Über den Untergang des römischen Reiches und die Auswirkungen auf das Siedlungsgebiet im Donauraum im Zeitalter der Völkerwanderung und die sog. „dark ages“ des Frühmittelalters erfahren wir die wesentlichen Punkte – bis dann mit dem Geschlecht der Dollinger die Geschichte des Ortes an der Wende zum 12. Jahrhundert fassbarer wird. Diese Dollingers spielten im Hochmittelalter im Raum zwischen Regensburg und Eichstätt eine durchaus einflussreiche Rolle: Das ehemalige „Dollinger-Haus“ in Regensburg legt Zeugnis davon ab. Aber auch mit der Ingolstädter Geschichte ist Oberdolling verknüpft, wie Vogl nachweist. Nicht nur, dass Dolling und Oberdolling auf Apians „Landtaflen“ verzeichnet sind, auch die Ingolstädter Jesuiten waren im 17. Jahrhundert Besitzer der Ortschaft. Nicht zuletzt finanzierten sie mit diesem Besitz das Jesuitenkolleg in der Universitätsstadt an der Donau. Nach knapp 50 Jahren Jesuitenherrschaft kam Oberdolling Ende des 17. Jahrhunderts in die Hände des Freiherrn Johann Franz Philipp von Hegnenberg-Dux, an den bis heute ein Epitaph in der Oberdollinger Pfarrkirche erinnert.
Auch die Wirren der Revolutionskriege an der Wende zum 19. Jahrhundert und das Ende der Feudalordnung 1818, die das kleine Dorf ebenfalls betrafen, werden klar und stringent dargestellt. Übrigens: auch Maximilian Graf von Montgelas, der große Reformer des Königreichs Bayern, hatte Besitz in Oberdolling!
Im Zuge der Neuordnung Bayerns wird Oberdolling eine selbstständige Gemeinde, die 1904 ans Eisenbahnnetz angeschlossen wird und bis 1972 sogar einen eigenen Bahnhof besaß. Bis zur großen Gebietsreform 1972, die Oberdolling dem Landkreis Eichstätt zuwies, schien sich jedoch nicht mehr viel in der kleinen Gemeinde getan zu haben. Wenn man vom Brand des Hofmarksschlosses 1931 absieht, das vom Ingolstädter Architekten Uhlmann nach historischem Vorbild wiederaufgebaut wurde und bis heute erhalten ist.
Nach dem informativen politischen Überblick arbeitet sich Wolfgang Vogl auf gut 120 Seiten akribisch durch die Pfarreigeschichte vom Frühmittelalter bis heute. Dabei stößt er u.a. in den Visitationsprotokollen des Regensburger Bistums auf manch pikante Details aus dem Leben des katholischen Klerus in der Reformationszeit. Selbstverständlich spielen auch in diesem Großkapitel die politischen Ereignisse der Zeit immer wieder in die Pfarreigeschichte hinein, was Vogl souverän und mit geschickter Hand integriert. Die Amtszeiten der jeweiligen Pfarrer werden genau aufgeführt und mit ihren für die Pfarreigeschichte wesentlichen Entscheidungen skizziert. Auch die Epitaphe, die in der Pfarrkirche erhalten sind, werden dargestellt und übersetzt – was für Nichtlateiner durchaus hilfreich ist. Naturgemäß sind die Beiträge über die Pfarrer der letzten Jahrzehnte deutlich ausführlicher geraten, wobei auch die Schwierigkeiten der Kirche in diesen Kapiteln benannt werden: beispielsweise die Auflösung der Schwesternfiliale der „Armen Schulwestern“ in den 70er Jahren genauso wie der Priestermangel und das zurückgehende Interesse am kirchlichen Leben im Allgemeinen.
Seine ganz besondere Stärke entfaltet das Buch im folgenden Kapitel über die Oberdollinger Kirche(n) vom Hochmittelalter bis hin zur heutigen, ab 1895 errichteten, Kirche. Zunächst wird die ursprüngliche mittelalterliche Kirche umfassend in Architektur und Ausstattung dargestellt. Dabei geht Wolfgang Vogl selbstverständlich auch auf die kunstgeschichtlichen Besonderheiten wie das frühgotische Stifterrelief oder die erhaltenen Gemälde und Figuren der nachfolgenden Jahrhunderte ein. Kenntnisreich ordnet Vogl die zum Teil außerordentlich detailliert fotografierten Kunstwerke, Gegenstände und Gemälde kunstgeschichtlich ein, ohne dabei ausufernd zu werden oder gar in`s Fachchinesische abzugleiten. Die Baugeschichte der „neuen“ Oberdollinger Kirche ab 1893 wird dann anhand der Pläne, Berichte und Skizzen mit klarem Zugriff und konzentriert erzählt – die vielen Illustrationen zum Bau und zur Ausstattung sind gerade in diesem Kapitel überaus hilfreich. Sehr ausführlich geht Vogl schließlich auch noch auf einen ärgerlichen Streit um`s liebe Geld ein: der Abrechnungsstreit, der schließlich vor einem Schiedsgericht in Regensburg entschieden wurde und erst 1899 vor dem Eichstätter Landgericht ein endgültiges Ende fand.
Wer die neoromanische Oberdollinger Kirche besucht, sollte das Buch zur Hand nehmen oder es zumindest vorher gut studiert haben. Denn sonst würde man vielleicht gar nicht die kompositorische Ähnlichkeit des Hochaltarreliefs vom Letzten Abendmahl mit dem weltberühmten Gemälde von Leonardo Da Vinci bemerken! Akribisch untersucht der Autor die Gemälde und weist auf Details hin, die man bei oberflächlicher Betrachtung bestimmt übersehen würde. Dieser dritte Abschnitt des Buches macht richtig Lust auf einen Besuch der Kirche. Und angesichts der genauen Beschreibung der Ausstattung der Kirche sollte man dafür auch ausreichend Zeit einplanen. Wolfgang Vogl setzt sich mit allen Aspekten der Architektur, der Ausstattung und auch der Veränderungen intensiv auseinander, sodass jeder Besucher die Geschichte und die Entwicklung der Kirche in den vergangenen 125 Jahren genau nachvollziehen kann. Bauliche Veränderungen sind ebenso dokumentiert wie die Entfernung der ursprünglich nazarenischen Ausstattung im Zuge der 60er Jahre. Anhand von historischen Fotografien werden diese Maßnahmen eindrucksvoll und sorgfältig belegt.
Wolfgang Vogls Werk ist ein Kirchen- und Kunstführer von imponierender Qualität – auch in bibliophiler Hinsicht. Hier werden vom LIT-Verlag alle Erwartungen voll erfüllt. Sehr hilfreich ist der übersichtlich und sauber gestaltete Anhang mit verschiedenen Übersichten und einem eindrucksvollen Quellen- und Literaturverzeichnis. Auch wenn der Preis mit 34,90 Euro durchaus stolz anmutet, das Buch ist es wert!
Dr. Matthias Schickel